Blauregen – Glyzine – Wisteria
Ich habe eine Glyzinie, Wisteria sinensis gepflanzt. Das ist ca. 30 Jahre her. Damals, als Gartenanfängerin, habe ich einfach gekauft, was mir gefiel. Internet und Google gab es noch nicht wirklich. Jedenfalls war in Privathaushalten noch kein PC in Sicht. Erst ein paar Jahre später kam Windows 98 auf den Markt. Wir sind also in der Steinzeit der Informationsbeschaffung, sprich: Bücher, Gartenzeitschriften, vielleicht noch Gartensendungen im Fernsehen. Also mal schnell im Gartencenter googeln war nicht. Aber erst mal Infos beschaffen und die schöne Pflanze einfach stehen lassen auch nicht. Die ist doch, wenn ich wiederkomme, weg.
Ergo sieht die Käuferin – also ich – hübsche Fotos mit blauen Blüten einer Rankpflanze. Spontane „Begeisterung: „Damit kann ich doch den hässlichen Maschendrahtzaun zuwachsen lassen.“ Der ist immerhin 150 cm hoch und viele Meter lang in beide Richtungen. Was ich nicht gewusst habe ist, dass Blauregen ein paar spezielle Eigenschaften hat, die sich durchaus von netten Kleinigkeiten im Klettersortiment, wie der Klematis, unterscheiden.
Da ist zum einen die Wuchskraft. So ein Ding ist mit bis zu 30 m Höhe und 8 m Breite ein ordentlicher Brocken. Also so richtig gut am Maschendrahtzäunchen.
Die Triebe werden zu wirklich dicken Dingern verholzen.
Im Frühling treiben die Pflanzen innerhalb kürzester Zeit in alle Richtungen Triebe, die schnell mehrere Meter lang werden. Es ist daher jährlicher Schnitt nötig.
Die Triebe aus anderen Gehölzen zu entfernen ist kaum mehr möglich, so fest drehen sie sich um jeden Ast und Zweig, den sie erreichen können. Eine Wisteria ist wirklich ein rücksichtsloser Kletterer, der sich gegen den Uhrzeigersinn um alles windet, was er greifen kann. Vorsicht auch mit Fallrohren und Dachrinnen.
Heute gibt es Veredelungen in verschiedenen Farben, die blühen schon nach ca. 2 – 4 Jahren. Diese sind auf jeden Fall vorzuziehen, auch wenn sie etwas teurer sind.
Damals waren in der Hauptsache Sämlinge der Glyzinie auf dem Markt (heute teilweise auch noch). Sämlinge haben aber grundsätzlich kein unbedingtes Blühgen, sondern blühen frühstens nach 15 Jahren, manche noch später, manche nie. Dazu kommt, dass sie grundsätzlich nicht als frühreif zu bezeichnen sind. Sie brauchen ungefähr so lange wie wir Menschen, um in die Pubertät zu kommen und fruchtbar zu werden.
Apropos Pubertät: Wer Kinder altersmäßig unterhalb dieses Stadiums hat, möge vorsichtig sein. Wisteria ist in allen Teilen sehr giftig und die Samenschoten verführen zum Essen. Ähnlich wie beim Goldregen, der ebenfalls eine Leguminose ist. Schon zwei Samen führen zu schweren Vergiftungen. Auch schon der Saft bei Berührung kann zu Vergiftungen führen. Deshalb beim Schnitt immer Handschuhe und lange Ärmel tragen.
Und da stand sie dann am Zaun, betrachtete diesen mit Verachtung und schlang sich durch meinen Perückenstrauch, erwürgte Sonnenblumen und Ritterspornstängel. Jedes Jahr ein riesengroßer Haufen Schnittgut. Und obendrein wuchs sie grundsätzlich immer in die falsche Richtung. Erstens in die Höhe statt seitlich und zweitens hat sie die Angewohnheit zum Licht zu wachsen – wer hätte das gedacht. Den Zaun zu begrünen, würde aber heißen, in die Gegenrichtung zu wachsen. Fand sie doof. Ich hätte es wissen müssen. Wobei ich das gefiederte Laub eigentlich auch hübsch finde.
Nur geblüht hat dieses dauerpubertierende Biest nie. Nicht eine einzige Blüte – auch nicht nach 15 Jahren.
Das habe ich mir jahrelang angetan, dann war ich richtig sauer und wollte das Ding loswerden – viel Spaß. Dann kam eine Bekannte zu Besuch, die ganz scharf darauf war, das zierliche Glyzinchen unbedingt haben und es sogar persönlich ausgraben wollte. Geil! Hat sie auch tatsächlich gemacht. Alle Achtung vor dieser sportlichen Leistung.
Auf dem Nachbargrundstück kam aber immer noch ein Trieb aus der Erde. Der damaligen Nachbarin war nicht beizubringen, dass das ein Problem wird. Sie ließ der Garten verwildern. Ich habe dann immer mit einer langen Schere heimlich übern Zaun … schnipp.
Das ist inzwischen auch schon wieder so 10 Jahre her. Ich dachte, es wäre jetzt Ruhe. Ich habe aber nicht mit Wisterialein gerechnet. Vor ca. fünf Jahren zog nebenan ein neuer Nachbar ein. Ein netter Mensch mit Spaß am Garten, der sich des ziemlich verwilderten Grundstücks auf der anderen Seite des Zauns annahm. Dort hat er auch ein Palettenhochbeet gebaut. Just an der Stelle, an der einst Wisterialein stand. Damit war sie überbaut. Ruhe!
Ratet mal. Genau! Zwischen Hochbeet und Zaun schob sich eines Frühjahrs gut versteckt und klammheimlich ein Glyzinentrieb aus der Erde. Sie war wieder da!
Das Licht kommt von meinem Garten aus, zack war mein Perückenstrauch wieder erobert. Ich nahm erneut den Kampf auf. Jeden Frühling die ellenlangen Triebe entfernen, dabei gingen auch gleich Äste des Perückenstrauchs zu Bruch. Letztes Jahr hatte ich echt keine Zeit und noch weniger Lust und habe nur die zu langen Triebe, die wirklich störten eingekürzt.
So, und jetzt hört und staunt. 2024 hat die Wisteria zum ersten Mal geblüht. Nur am Zaun zum angrenzenden Parkplatz hin und nur spärlich, aber immerhin.
Von meinem Garten aus waren die Blüten praktisch gegen den Himmel kaum zu sehen und wenn, dann nur als Schattenriss. Aber endlich konnte ich mit ein paar Verrenkungen sehen, was ich da eigentlich damals gekauft hatte. Die Blüten sind wunderschön.
Daraus habe ich gelernt. Ich schneide jetzt immer, was außerhalb des Traufenbereichs des Perückenstrauches wächst. Und siehe da. Der ganze Baum hängt dieses Jahr voller Kaskaden aus Wisteriablütenknospen. Die ähneln anfangs tatsächlich ein wenig Weidenkätzchen, nur schuppiger, bevor sie sich in die Länge strecken.
Und 2025 – nach ca. 30 Jahren – wird die Pflanze ihrem deutschen Namen Blauregen zu ersten Mal gerecht. Ich kann mich kaum sattsehen an der Pracht. Und das rote Laub des Perückenstrauchs Cotinus coggygria ‚Royal Purple‘ und des Holunder ‚Black Lace‘ harmonieren wunderschön. Wobei meine Glyzine tatsächlich hellblau gezeichnete Blattfahnen hat. Also noch ein bisschen spezieller.
Ein bisschen Bridgerton-Feeling. Ihr erinnert euch an das von Glyzinen berankte Haus der Familie?
Bis bald

Hallo liebe Claudia,
mein Gott, ist diese Glyzinie schön. So eine hätte ich auch gerne in Sichtweite meines Balkons. Und die lange Geschichte darum ist schon faszinierend. Am Ende hat doch die Natur gesiegt.
Ganz liebe Grüße
Clara
Wow, da sieht man mal, wie schön alles wird, wenn nur genug Zeit vergeht. Wir wollten letztes Jahr einen weißen Blauregen pflanzen aber im August ist halt keine Pflanzzeit – oder der Nachbar hat ihn auf dem Gewissen, so genau wissen wir das nicht. Dieses Jahr der zweite Versuch mit Goldregen, der auch schon schön anwächst (an anderer Stelle, weit weg von allen Nachbarn) und mir eh besser gefällt. Der ist ja auch eher ortstreu. Allerdings musste ich ihn bestellen. In der Gärtnerei, in der ich sonst alles hole – auch den Blauregen – gab es den nicht. Begründung: der sein giftig. Aber Blauregen anscheinend nicht…
Liebe Grüße!
Ja, das mit dem giftig ist so ne Sache. Wenn die Leute wüssten, dass ihre Bohnen-, Tomaten- und Kartoffelpflanzen allesamt giftig sind. Manchmal wird schon seltsam gewertet.
Ach du meine Güte – was für eine herrliche Geschichte! Ich habe beim Lesen gelacht, mitgefühlt, gestaunt und mich am Ende einfach mit dir gefreut! Was für ein Drama rund um eine Pflanze – aber eben auch: was für ein Durchhaltevermögen, was für ein langer Atem… oder vielleicht besser: was für eine treue Gartenseele du bist.
Dass sie nun – nach 30 Jahren! – endlich blüht, ist doch der schönste Beweis dafür, dass manche Dinge im Leben einfach Zeit brauchen. Und wie du das mit dem Cotinus und dem Holunder beschreibst – das klingt nach einem kleinen Paradies, das sich jetzt, ganz allmählich, selbst belohnt.
Hallo Tom,
dafür, dass ich grundsätzlich eigentlich ein sehr ungeduldiger Mensch bin, und immer in Versuchung an Stängeln zu ziehen, damit es schneller wächst, habe ich hier wirklich mehr oder weniger lange Geduld bewiesen. Aber am Ende wurde ja alles gut.
Viele Grüße
Claudia